Theoretische Grundlagen zum Shotokan Karate-Do

Das Gürtelrangsystem

Das Gürtelrangsystem (Kyudan) im Shotokan Karate-Do wird in zwei große Bereiche eingeteilt. Einmal das Kyu-System, das alle Farbgurtstufen umschließt und zum anderen das Dan-System, das die Gruppe der Schwarzgurte bildet.


Das Kyu-System

Für einen Kampfkunstinteressierten, der sich entschließt Karate-Do zu erlernen, beginnt ein langer Weg, über dessen Ziel er selbst noch gar keine oder eine oft falsche Vorstellung hat. Als erstes (und anfangs auch als einziges) beginnt er, sich mit Waza auseinander zu setzen. Er übt die verschiedensten Techniken und Kombinationen und versucht sie in der Kata perfekt wiederzugeben oder mit dem Partner anzuwenden. Der Schüler befindet sich nun auf der sogenannten Form-Stufe (Shu), die den ersten Abschnitt vom Schüler zum Meister (Shu-Ha-Ri) darstellt. Um das Voranschreiten in dieser Stufe zu symbolisieren, wurde das Kyu-System eingeführt, das an den verschiedenen Gürtelfarben erkennbar ist. Diese bestanden ursprünglich aus sechs Farben, die auch heute noch Verwendung finden, allerdings sind sie inzwischen in neun Kyu-Stufen eingeteilt worden.

Kyu - Klasse

Um das Voranschreiten in dieser Stufe zu symbolisieren, wurde das Kyu-System eingeführt, das an den verschiedenen Gürtelfarben erkennbar ist. Diese bestanden ursprünglich aus sechs Farben, die auch heute noch Verwendung finden, allerdings sind sie inzwischen in neun Kyu-Stufen eingeteilt worden.

Unterstufe

9.Kyu (Kukyu)weißer Gürtel (Shiro-Obi)
8.Kyu (Hachikyu)gelber Gürtel (Kiiro-Obi)
7.Kyu (Shichikyu)oranger Gürtel (Daidaiiro-Obi)

Mittelstufe

6.Kyu (Rokukyu)grüner Gürtel (Midori-Obi)
5.Kyu (Gokyu)violetter/blauer Gürtel (Aori-Obi)
4.Kyu (Yonkyu)violetter Gürtel (Aori-Obi)

Oberstufe

3.Kyu (Sankyu)brauner Gürtel (Chairo-Obi)
2.Kyu (Nikyu)brauner Gürtel (Chairo-Obi)
1.Kyu (Ikkyu)brauner Gürtel (Chairo-Obi)

Je weiter der Karateka im Kyu-System voranschreitet, desto mehr Hindernisse stellen sich ihm in den Weg, die er anfangs als solche gar nicht erkennt. Diese scheinen von außen auf ihn einzuwirken, sind aber meist Hindernisse, die in seinem inneren entstehen. Er begegnet verschiedenen Gefühlen wie z.B. Zweifel oder Unlust mit denen er sich auseinander setzen muß und die es zu bekämpfen gilt. Früher oder später gelangt jeder Karateka auch an einen Zeitpunkt, an dem er glaubt keine Fortschritte mehr zu machen, oder er meint, das er in allem nur kritisiert wird. Er fühlt sich beobachtet oder glaubt seine Fähigkeiten mit anderen vergleichen zu müssen, anstatt auf sich selbst zu schauen und an sich zu arbeiten.

Alle diese Hürden und viele weitere begegnen dem Karateka immer wieder aufs neue, aber um aus der Shu-Stufe herausbrechen zu können, muß er sich mit diesen Hürden auseinander setzen und sie meistern. Denn nur so kann er einen weiteren Schritt auf seinem Weg im Karate-Do machen und damit Erfahrungen für sein Leben sammeln.



Das Dan-System

Erreicht ein Karateka die Stufe des ersten Dan (Schwarzgurt - Kuro-Obi), so wird oft angenommen, daß er nun die Kampfkunst gemeistert hat. Dies ist aber grundlegend falsch, da der erste Dan nur anzeigt, daß der Schüler die technischen Grundlagen gemeistert hat. Er ist nun bereit die Shu-Stufe zu verlassen und sich mit dem Geist des Budo zu befassen. Es gibt einen einfachen Satz, der diesen Sachverhalt deutlich wiedergibt.

"Karate-Do beginnt erst dort, wo die Technik aufhört."

Dan - Stufe, Grad

Das Dan-System ist deshalb noch einmal in verschiedene Stufen unterteilt worden, um auch hier ein voranschreiten symbolisieren zu können. Im Gegensatz zum Kyu-System gibt es aber hier keine Unterscheidungen durch eine Gürtelfarbe, sondern sie bleibt hier durchgehend schwarz. Es gibt zwar einige Ausnahmen, aber diese sind eher selten zu sehen. Zum Beispiel tragen einige höhere Dan-Träger, einen rot-weißen Gürtel, oder binden sich sogar wieder einen weißen Gürtel um, um anzuzeigen, das ein Meister auch weiterhin ein Schüler ist und immer wieder alles aufs neue erlernt. Öfter verbreitet hingegen sind die schwarzen Gürtel, die durch vielfaches Tragen langsam ihre innere, weiße Naht preisgeben. Auch hierdurch soll der oben angesprochene Kreislauf angedeutet werden.

Danstufen

1.Grad (Shodan)6.Grad (Rokkudan)
2.Grad (Nidan)7.Grad (Shichidan)
3.Grad (Sandan)8.Grad (Hachidan)
4.Grad (Yondan)9.Grad (Kudan)
5.Grad (Godan)10.Grad (Judan)

Der scheinbar endlose Weg des Karateka bis zum Erreichen des Dan erscheint nun im Verhältnis zu dem, was noch vor ihm liegt, gar nicht mehr so groß. Denn erst jetzt erkennt er, daß der wahre Weg noch zu meistern ist. Erst mit der Zeit begreift er die Zusammenhänge und tastet sich Schritt für Schritt weiter. Sein Weg begann in der Form-Stufe (Shu) und führt ihn nun über die Ha-Stufe schließlich zur Ri-Stufe. Doch dieser Prozeß ist ein Prozeß, der ein lebenlang andauert und ständig Auswirkungen auf sein Leben hat. Seine Lebensweise wirkt aber wiederum auf sein Verhalten im Dojo ein. Es entsteht also eine Wechselwirkung bis hin zur Verschmelzung. Der Karateka trainiert nun nicht mehr das Karate-Do, sondern er lebt es.



Prüfung & Gürtelrangordnung

Ein interessantes Thema, über das sich wohl schon jeder Kampfkunstinteressierte einmal Gedanken gemacht hat, ist die Frage nach der Zeitdauer für die Erlangung einer speziellen Gürtelfarbe. Wahrscheinlich wurde diese Frage zeitgleich mit der eigentlichen Idee einer Einführung einer Rangordnung in der jeweiligen Kampfkunst "geboren". Wobei über die "Rangordnung" noch später diskutiert werden muß, da sie nicht dem entspricht, was im allgemeinen darunter verstanden wird.

Betrachtet man zunächst einmal die Frage nach den Wartezeiten zwischen den einzelnen Gürtelprüfungen, so scheint diese leicht beantwortbar zu sein. Ein Blick in die jeweilige Prüfungsordnung offenbart uns Zeiten von einigen Monaten bzw. Jahren für höhere Gürtelstufen. Allerdings ist nicht ersichtlich warum eigentlich von Wartezeiten gesprochen wird. Auf was warten wir da eigentlich? Ist Warten ein effizientes Mittel zur Erweiterung unserer Fähigkeiten? Leider gibt es ab und zu einige Personen, die dieses wohl zu wörtlich genommen haben und zwischen den Prüfungen mehr gewartet als trainiert haben. Im Grunde genommen wird aber erwartet, das der Schüler sein Wissen und Können durch regelmäßiges Training steigert und bei seiner nächsten Prüfung dieses auch zeigen kann. Deshalb wären Begriffe wie "notwendige Trainingszeit" oder ähnliche sicherlich passender.

Aber ist es eigentlich überhaupt möglich eine Zeit festzusetzen, die zwischen den einzelnen Prüfungen liegen muß? Vernünftigerweise wurden die Zeiten als Mindestzeiten festgelegt, denn die verschiedenen Budoformen insbesondere Karate-Do sind nicht auf einen speziellen Typ von Mensch beschränkt. Schaut man in die vielfältigen Vereine, so ist nicht nur jede Altersklasse dort vertreten, sondern auch eine steigende Anzahl von Behinderten setzen sich mit dem Wesen des Budo auseinander. Als erstes sollte festgehalten werden, das eine Gürtelprüfung nicht mit den heute immer mehr aufkommenden Wettkampfdisziplinen vergleichbar ist. Mit Wettkampf sind allerdings nicht die Kumitedisziplinen im Budo gemeint sind, sondern alle Arten von Vergleichs-"Kämpfen", die man im Fernsehen sehen kann, und bei denen es nur um das Gewinnen oder Verlieren geht. Im Gegensatz hierzu geht es bei der Gürtelprüfung nicht darum, der beste, schnellste oder stärkste im Vergleich zu anderen zu sein, einen Pokal oder eine Trophäe zu erhalten. Sondern es geht um etwas, das gerade Karateka in der Anfangsphase überhaupt nicht verständlich erscheint; nämlich um das, was Gichin Funakoshi sagte:

"Das höchste Ziel im Karate-Do ist nicht der Sieg oder die Niederlage, sondern die Perfektion des menschlichen Charakters".

Wir trainieren nicht für den Trainer, den Prüfer, die Eltern oder Freunde. Es geht nicht darum jemandem zu beweisen wie "viel" man gelernt hat, auch wenn es für die Prüfung erst mal so scheint. Im Budo geht es darum an sich selbst zu arbeiten; den Weg zu gehen, für den man sich entschieden hat und nicht halbherzig mitzulaufen, nur um sagen zu können man war dabei. Karate-Do ist ein Lebensweg, der sich mit der Zeit immer wieder wandelt. Deshalb muß sich auch das eigene Karate mit der Zeit verändern. Die Art, wie wir in der Jugend trainiert haben, ist im Alter meist so nicht mehr zu gebrauchen (z.B. Jodan Fußtritte). Das ist aber nicht negativ zu sehen sondern eigentlich etwas wunderbares, da man so nicht mit der Zeit stehen bleibt. Man kann ständig an sich arbeiten und das Karate an die eigenen Fähigkeiten und Begrenztheiten anpassen. Diese Prinzip gilt schließlich auch für die Prüfungen. Deshalb sind bei höheren Gürtelprüfungen die Abwehr- und Angriffstechniken freier. Jeder muß selbst die für sich optimale Verteidigung erlernen und anwenden können. Und das soll der Prüfling auch mit entsprechender Durchsetzungskraft in Kihon, Kata und Kumite zeigen können. Daraus folgt schließlich, das nicht alle ein Karate trainieren, sondern jeder sein "eigenes" Karate erlernt - und dies ist auch der richtige Weg.

Als nächstes soll etwas Licht in das Prinzip der Rangordnung im Karate-Do gebracht werden. Hierzu sind zwei wichtige Begriffe zu erwähnen, nämlich Sempai und Kohai. Der Sempai ist der zur eigenen Gürtelfarbe fortgeschrittene Schüler, während der Kohai die Gürtelfarbe die man selbst besitzt noch erreichen muß. Der Sensei oder Shihan ist damit für einen Kyu-Grad ein Sempai, nämlich jemand der mehr Erfahrung im Karate gesammelt hat als er selbst. Das kann aber bedeuten, das der Sensei unter Umständen viel jünger sein kann als der Kyu-Grad. Das ist weder falsch noch ungewöhnlich, obwohl es manchmal für Späteinsteiger etwas ungewöhnlich erscheint. Wir lernen einfach von jemandem etwas, der den Weg des Karate-Do schon länger geht als wir selbst. Der Sensei ist nicht ein allwissender Karateka, der die perfekten Karatetechniken erreicht hat und somit am Ende seiner Entwicklung steht; sondern er ist jemand, der den schweren Weg den wir gerade gehen auch schon gegangen ist. Er kennt die verschiedenen Tücken und hat diese schon gemeistert. Aber er hat auch weiterhin den Weg des Karate-Do vor sich und lernt wie jeder andere Schüler auch weiter. Er arbeitet an sich und seinen Fähigkeiten, und versucht sich weiter zu vervollkommnen.

Das heißt das der Begriff "Rangordnung" im Karate-Do völlig falsch gewählt ist. Der Sensei ist nicht vergleichbar, mit dem obersten Chef in einer Firma, der dem Lehrling sagt was er zu tun oder zu lassen hat. Der Sensei oder Sempai begleitet uns auf dem Weg des Karate-Do. Er kennt die Schwierigkeiten die uns begegnen und versucht uns in die richtige Richtung zu lenken. Anfangs scheint im Training alles so festgesetzt zu sein, und wir haben das Gefühl, das wir den "richtigen" Techniken hinterher laufen. Aber mit der Zeit wird alles wieder freier und die richtigen Bewegungen und Handlungen ergeben sich intuitiv aus der aktuellen Situation. Und das ist es, wohin uns der Sempai führen will, auf einen Weg den wir selbst bestimmen und unter Kontrolle haben, und der uns nicht durch eine andere Person vorgeschrieben wird.


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